WIR MÜSSEN REDEN – ABER WIE?

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Artikel: WIR MÜSSEN REDEN – ABER WIE?

Offener Austausch statt erbitterter Fronten: Unter dem Titel „Demokratie stärken“ förderten wir mit unserer Ausschreibung im Jahr 2024 gemeinnützige Organisationen, die sich für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft engagieren und den gleichberechtigten Dialog stärken. Wie kreativ man dabei sein kann, zeigt sich bei einem Event in Sachsen.

Meerane, eine Kleinstadt in der sächsischen Provinz. Es ist der Abend des 17. November 2024, als im lokalen Volkshaus eine spannende Premiere stattfindet: der erste demoSlam der Stadt. Die Idee: Menschen mit völlig unterschiedlichen Meinungen kommen zusammen und reden über kontroverse Themen. Aber nicht, um sich zu streiten, sondern um einander zu verstehen.

Teilnehmer des Demoslams in Meerane
Teilnehmer des Demoslams in Meerane
Quelle: @Magnet - Werkstatt für Verständigung
WIR MÜSSEN REDEN – ABER WIE?

Wie kann dies gelingen in einer Zeit, in der politische Polarisierung immer stärker spürbar wird? Die Organisation MAGNET – Werkstatt für Verständigung konnte mit ihrem Dialogformat für mehr Zusammenhalt die Jury der Deutsche Bahn Stiftung überzeugen und zählt damit zu den 16 Gewinner:innen der deutschlandweiten Förderausschreibung 2024, „Demokratie stärken“.

Das Konzept von demoSlam verspricht einen ungewöhnlichen Abend. „Auf einer Bühne treten nacheinander immer zwei Teilnehmende auf, die Slammer:innen“, sagt Evgeniya Sayko, die das Format entwickelt und MAGNET gegründet hat. „Gebildet haben sich die Paare vorab bei einem Workshop.“ Dabei war ausschlaggebend, dass beide Personen zu einem Thema gegensätzliche Standpunkte vertreten. Vor dem Publikum präsentieren sie diese dann bei einem Auftritt von zehn Minuten pro Paar und Thema – persönlich, alltagsnah, kreativ und unterhaltsam. Nach jedem Auftritt eines Slammer:innen-Paars sind die Zuschauer:innen eingeladen, mitzureden.

Dabei steht über allen Differenzen ein gemeinsames Ziel: Es gilt, einen echten Austausch zu gestalten. Denn: „Hitzige Debatten führen oft dazu, dass sich Andersdenkende nur noch mehr in Lager aufspalten. Resignation entsteht. Mit demoSlam möchten wir Dialog wieder möglich machen, der schon verloren scheint“, sagt Leonie Pessara, die das Format 2018 als Slammerin entdeckte und nun seit fast vier Jahren bei MAGNET koordiniert.

Zuhörer im Demoslam in Meerane
Zuhörer im Demoslam in Meerane
Quelle: @Magnet - Werksatt für Verständigung

Sie und Evgeniya Sayko sind schon zum vorangegangenen Workshop nach Sachsen gereist und erwarten jetzt neugierig den Abend. Mittlerweile haben die Zuschauer:innen im Volkshaus Meerane Platz genommen. Viele kennen sich, die Stadt ist klein. Gespannt blicken alle auf die Bühne. Zwei Slammer:innen-Paare werden heute auftreten. Ihre politischen Ansichten könnten teils unterschiedlicher nicht sein. Das gesamte Spektrum ist vertreten. Wie soll da ein friedlicher Dialog entstehen?

Entscheidend hierfür sind drei Grundprinzipien von demoSlam, erklärt Moderatorin Mandy Merker dem Publikum in ihrer Einführung. „Erstens:Nur persönliche Erfahrungen und Ansichten werden geschildert. Niemand zitiert Statistiken oder Expert:innen. Denn hier geht es nicht um richtig oder falsch. Wir erklären nur, wie wir zu unserer Haltung gekommen sind. Zweitens: Jede Meinung ist willkommen, sofern sie mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Das heißt natürlich auch: Beleidigungen sind nicht erlaubt. Drittens: Verstehen bedeutet nicht automatisch, einverstanden zu sein. Alle hören einander zu, niemand soll jemanden überzeugen.“

Die vier Slammer:innen in Meerane – eine Frau, zwei Männer, ein Trans-Mann – kennen diese Regeln schon vom Vortag aus dem Vorbereitungs-Workshop. Wer sich gemeldet hat, um teilzunehmen, wird dazu eingeladen.

„Unsere Trainer:innen schaffen ihnen einen geschützten Raum, vermitteln das Handwerkszeug für gelungene Dialoge über Streitthemen und begleiten den ganzen Prozess“, sagt Evgeniya Sayko. Bei der Bühnenshow sei durchaus Humor gefragt, denn: „Lachen baut Spannungen ab und verbindet.“

Regenbogenflagge im Demoslam in Meerane
Regenbogenflagge im Demoslam in Meerane
Quelle: @Magnet - Werkstatt für Verständigung

 

Nun ist der Augenblick gekommen, auf den sich die Slammer:innen vorbereitet haben: Der demoSlam beginnt. Das erste Paar hat sich das Thema „Gendern“ ausgesucht, ihr Szenenbild stellt ein Büro dar. Sebastian, der gerade eine Mail an alle Mitarbeiter:innen schreibt, ist ein Befürworter. Alex sagt, das Gendersternchen sähe doof aus. „Du als Trans-Mann willst das Sternchen nicht?“, fragt Sebastian in komischer Ungläubigkeit. Ihm sei es wichtig, in seiner Mail alle anzusprechen. „Die Zeiten haben sich gegendert!“ Beide erweisen sich als Naturtalente auf der Bühne, ernten anerkennendes Gelächter, zustimmendes Nicken, nachdenkliche Blicke und am Ende viel Applaus.

Auch dem zweiten Paar gelingt es, ihre unterschiedlichen Meinungen eindrucksvoll und unterhaltsam zu präsentieren. Isabel und Kay slammen zum komplexen Thema „Freiheit“, die Szene beginnt damit, dass er laut Musik hört, während sie schlafen will. „Freiheit hört da auf, wo die der anderen beginnt“, sagt Isabel. Kay hingegen erklärt, warum er sich durch Regelungen häufig eingeschränkt fühlt.

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Ende des Sliders

Nach beiden Präsentationen diskutiert das Publikum angeregt. Die Moderatorin achtet darauf, dass die demoSlam-Prinzipien eingehalten werden und niemand unterbrochen wird. Ein spannendes Mosaik aus Meinungen entsteht. Als die Moderatorin diesen Teil des Abends mit Blick auf die Uhr beenden muss, verweist sie auf die anschließende Party. „Die machen wir immer, weil die Leute jedes Mal noch weiter reden wollen“, sagt Leonie Pessara und lächelt zufrieden.

Tatsächlich summt der Raum von Gesprächen. Die Stimmung ist beflügelt. „Ich bin positiv überrascht“, sagt ein Zuschauer. „Die politische Lage hier in Sachsen macht mir schon lange große Sorgen. Gleichzeitig will ich nicht wegziehen.“ Im Alltag sei er es gewohnt, dass Anhänger unterschiedlicher politischer Richtungen gar nicht mehr miteinander reden. „Hier zeigt sich, dass Kommunikation doch noch möglich ist. Das gibt mir Hoffnung.“

Ein anderer Zuschauer erklärt: „Das Format demoSlam ist ganz anders als das, was man aus dem Fernsehen kennt, diese Debatten oder Talkshows, wo es nur darum geht, den Gesprächspartner niederzureden. Das ist hier nicht der Fall, jeder kann sagen, was er sagen möchte.“

 Für die Slammer:innen war die Teilnahme ein besonderer Gewinn. „Hier habe ich ganz andere Möglichkeiten der Kommunikation kennengelernt, um bei Debatten und Konflikten zu agieren“, sagt Alex. „Im Sinne von: ‚Ich verstehe dich und bitte verstehe du auch mich‘.“ Er würde jederzeit wieder teilnehmen. Ebenso Slammer Sebastian: „demoSlam macht verdammt viel Spaß. Ich erhalte Sichtweisen, die ich vorher nicht hatte, und lerne, Menschen besser zu verstehen“, sagt er.

Wie wichtig mehr Zusammenhalt in der Region sei, betonen mehrere Stimmen aus dem Publikum. „Meerane braucht demoSlam auf jeden Fall“, sagt eine Zuschauerin. „Denn ich weiß, dass wir auch hier diese Probleme haben, die sich in ganz Sachsen und bundesweit zeigen: Dass sich durch verschiedene Ansichten Gräben auftun zwischen Menschen, sogar in Familien und Freundeskreisen.“ Die Verständigung sei schwer geworden, weil jeder gleich am Anfang der Diskussion meint, er müsse den anderen überzeugen. „Das funktioniert aber nicht. Wenn man stattdessen als Ziel hat, sich zuzuhören, kann man an einen Punkt gelangen, wo man dann doch gemeinsam nach Lösungen sucht.“

Besonders glücklich über die erfolgreiche Premiere wirkt Organisatorin Juliane Richter von der Partnerschaft für Demokratie Meerane.

„Wir hatten Slammer:innenpaare dabei, die komplett gegensätzlich waren und sich sonst niemals ausgetauscht hätten“

, sagt sie. Auch mit dem Publikum ist sie zufrieden: „Dadurch, dass die Regeln beachtet wurden, ist das Gespräch in einem harmonischen Rahmen geblieben.“ Eine Fortsetzung ist schon geplant: 2025 findet der nächste demoSlam in Meerane statt.

Neben dem demoSlam in Meerane förderte die Deutsche Bahn Stiftung im Rahmen der Ausschreibung 2024 drei weitere demoSlams: noch einen in Sachsen (Zittau) und zwei in Baden-Württemberg (Dunningen und Rottenburg). Sie alle sind Teil des Kommunenfördermodells, mit dem das erfolgreiche Dialogformat nachhaltig verstetigt werden soll. „Wir haben gemerkt, dass wir die besten Ergebnisse erhalten, wenn wir an vorhandene Strukturen anknüpfen“, sagt MAGNET-Gründerin Evgeniya Sayko. „Daher holen wir mit diesem Projekt die Kommunen mit an Bord und lokale Partner, wie hier die Partnerschaft für Demokratie Meerane.“ Mit ihrer Hilfe soll demoSlam bekannter werden. In einem weiteren Projekt sollen dann auch die Ausbildung zusätzlicher Trainer:innen und die Organisation vor Ort entwickelt werden. Damit wir wieder miteinander reden.