Tausende Jugendliche in Deutschland leben „entkoppelt“. Sie sind wohnungslos, viele wachsen auf der Straße auf – ohne Eltern, ohne Schule oder Job. Muss das sein? Der Eindruck, der im Vorbeigehen entsteht, ist oft ein anderer. Scheinbar haben diese jungen Leute bloß keine Lust auf Arbeit, wollen sich nicht anpassen und provozieren ohne Not. Schnelle Urteile, die sich zu bestätigen scheinen, wenn junge Obdachlose sagen: Es ist meine freie Entscheidung, so zu leben. Doch bevor ein junger Mensch auf sich allein gestellt lebt, ist viel passiert. Jede Geschichte ist individuell, aber Druck, Stress und Gewalt haben fast alle erfahren – zu Hause oder in Einrichtungen, die ein Zuhause ersetzen sollten. So kommen etliche auf der Straße an, gehen eigene Wege, kämpfen sich durch. Wer mit dem Gefühl aufwächst, nirgends gut aufgehoben zu sein, hat kaum eine andere Wahl.
Der Fotograf Mauricio Bustamante und die Autorin Annabel Trautwein haben junge Menschen getroffen, ihnen zugehört und sie porträtiert. In der Ausstellung „entkoppelt“ erzählen 20 Jugendliche von ihrer Erfahrung vom Leben auf der Straße. Wann sie an den Punkt kamen, es alleine schaffen zu wollen. Wie sie die Kraft dazu fanden. Wo sie sich Hilfe organisierten. Wie sie sich neue Chancen erarbeiten. Wovon sie heute träumen.
In all ihren Facetten zeigt die Ausstellung auch, was soziale Angebote für Straßenkinder und obdachlose Jugendliche bewirken können. Das Deutsche Jugendinstitut hat in seiner Studie „entkoppelt vom System“ bereits 2017 identifiziert, was hilft: verlässliche Anlaufstellen und Betreuer, die Vertrauen wachsen lassen. Mehr Wohnraum für junge Menschen. Arbeit, die den Selbstwert stärkt. In der Ausstellung „entkoppelt“ werden einige Stellen genannt, die diese Hilfe schon leisten. Daneben sind junge Obdachlose auch selbst aktiv: In selbstverwalteten Projekten bündeln sie Erfahrungswissen und vereinen ihre Kräfte – für eine bessere Zukunft in ihrem Sinne.